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Grenzenlose Haushaltstrennung? Lebensmittelpunkt entscheidet über internationale Zuständigkeit im Scheidungsverfahren

Die Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens sind heutzutage mannigfaltig. So ist es auch nicht mehr ungewöhnlich, dass aus verschiedenen Gründen die getrennten Betten nicht nur in verschiedenen Zimmern, sondern gar in unterschiedlichen Haushalten stehen. Ob man rechtlich aber auch geltend machen kann, seinen sogenannten gewöhnlichen Lebensmittelpunkt in gleich zwei unterschiedlichen Staaten zu haben, musste im Folgenden der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären. Und wer sich den Begriff "Lebensmittelpunkt" einmal genauer durch den Kopf gehen lässt, ahnt, wie die der Fall ausging.

Ein Franzose und eine Irin hatten 1994 in Irland geheiratet, die Familie mit drei Kindern wohnte dort auch. Seit 2017 arbeitete der Franzose in Frankreich und wohnte dafür in der Wohnung seines Vaters in Paris, pendelte aber fast jedes Wochenende zur Familie nach Irland. Die Frau besuchte ihn in Paris regelmäßig, wollte ihrerseits aber nicht ganz nach Frankreich umziehen. Unter anderem darüber entzweiten sich die Eheleute. Der Franzose wollte 2018 sein Scheidungsverfahren in Frankreich führen. Dafür ist gesetzliche Voraussetzung, dass er seit mindestens sechs Monaten dort seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" hatte. Das Pariser Gericht zog aus der konkreten Handhabung den Schluss, dass der Mann zwei gleichrangige Wohnsitze habe - also die irischen und die französischen Gerichte gleichermaßen zur Entscheidung über die Scheidung der betroffenen Ehegatten zuständig seien -, legte aber den Fall dem EuGH vor, um auszulegen, ob der "gewöhnliche Aufenthalt" einer Person in zwei Staaten sein könne.

Das verneinte der EuGH: Man könne nur einen Mittelpunkt haben. Ließe man zu, dass ein Ehegatte gleichzeitig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in mehreren Mitgliedstaaten haben kann, könne dies die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Die Schwierigkeiten, im Voraus die gerichtliche Zuständigkeit zu bestimmen, wären verstärkt sowie die Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit durch das angerufene Gericht erschwert. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass ein Ehegatte im selben Zeitraum an mehreren Orten einen Aufenthalt haben könne, doch könne er zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Hinweis: Internationale Zuständigkeit ist ein komplexes Feld. In vielen Konstellationen hängt die Zuständigkeit davon ab, wer den Antrag zuerst stellt. Durch eine zunehmende Zahl binationaler Ehen und zunehmende internationale Berufstätigkeit gewinnt das Thema an Bedeutung.


Quelle: EuGH, Urt. v. 25.11.2021 - C-289/20 IB
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 04/2022)

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